Ibraimo Alberto erinnert sich genau an seine Ankunft in Berlin-Schönefeld: am 16. Juni 1981, er ist gerade achtzehn Jahre alt. Er will viel lernen, möchte in der DDR Sport studieren. Es kommt anders: Er wird zur Ausbildung als Fleischer in das VEB Fleischkombinat Berlin eingeteilt. Bald nach der Ankunft beginnt Ibraimo mit Boxtraining.

Mit dem Elan der Unabhängigkeit

Während der Kindheit von Ibraimo Alberto ist seine Heimat Mosambik noch immer eine Kolonie von Portugal. Sklavereiähnliche Arbeitsverhältnisse und politische Unterdrückung prägen das Leben vieler. Seit den frühen sechziger Jahren führt eine Befreiungsbewegung den bewaffneten Kampf gegen die Kolonialmacht. Erst 1975 wird Mosambik unabhängig.

Ibraimo wächst in einem Dorf auf. Schulbildung ist für schwarze Kinder auf dem Land nicht vorgesehen. Dennoch schafft er es, über die vierte Klasse hinaus die Schule zu besuchen. Dort erfährt er von der Möglichkeit, in die DDR zu gehen, um eine Ausbildung zu machen. Er hofft, sich dort weiterentwickeln zu können und später sein erst seit wenigen Jahren unabhängiges Land mit seiner Qualifizierung voranzubringen.

 

Jeder durfte nur eine Hose und ein Hemd mitnehmen. Zwei gingen auch, aber mehr nicht.

Ibraimo Alberto, Berlin 2022

Im Fotostudio

Nach der Ankunft werden Ibraimo und seine Kolleg:innen neu eingekleidet. Später besorgt sich Ibraimo modische Kleidungstücke, die ihn an Cowboyfilme erinnern, die er in Mosambik gesehen hat. So angezogen geht er mit Freunden ins Fotostudio. Abzüge der Bilder schicken sie ihren Familien und Freund:innen. Sie sollen sehen, dass es ihnen in der fernen DDR gut geht und dass sie erfolgreich sind.

Nicht im Bild

Die Ernüchterung nach der Ankunft zeigen die Fotos nicht: das Entsetzen über die Arbeit im Schlachthof, die Enttäuschung darüber, die Ausbildung nicht selbst wählen zu können, die Schwierigkeiten mit der Sprache. Ibraimo isst kein Schweinefleisch, auch darauf wird keine Rücksicht genommen.

 

 

Abteilung Konserven

Ibraimo Alberto und einige seiner Freund:innen werden zur Ausbildung in die Abteilung Konserven des VEB Fleischkombinat eingeteilt. Das klingt für ihn zunächst nach moderner Technik, doch die Arbeit ist sehr grob. Dennoch ist er motiviert und macht seine Arbeit gut. Im zweiten Jahr der Ausbildung wird er zum Sprecher der Brigade gewählt. Für seine Zukunft in der DDR ist jedoch seine sportliche Leidenschaft entscheidend.

Wir haben uns auch ein bisschen gefühlt wie Gefangene.

Ibraimo Alberto, Berlin 2022

Karriere als Boxer

Ibraimo Alberto will in der DDR boxen lernen. Er spricht die sehr engagierte Deutschlehrerin an, die den mosambikanischen Vertragsarbeiter:innen in sechs Monaten grundlegende Deutschkenntnisse beibringen soll. Sie vermittelt ihn an die Betriebssportgemeinschaft VEB Tiefbau Berlin. Ibraimo beginnt mit dem Boxtraining. Boxen bedeutet ihm viel, nicht nur sportlich: Es hilft ihm, sich gegen Rassismus zur Wehr zu setzen. Als schwarzer Boxer ist er immer wieder mit entwürdigenden Situationen konfrontiert. Ibraimo nimmt für seinen Verein an Wettkämpfen in der gesamten DDR und im Ausland teil.

Nach Feierabend und zweiter Vertrag

Sport ist nicht nur für Ibraimo Alberto eine wichtige Freizeitbeschäftigung. Wie viele seiner mosambikanischen Kollegen spielt er Fußball. Ibraimo organisiert und trainiert eine Mannschaft aus dem Wohnheim. Am Wochenende veranstalten sie Discos im Wohnheim. Ibraimo hat sich eingelebt. Nachdem sein erster Arbeitsvertrag endet, kehrt er kurz nach Mosambik zurück, um 1986 einen zweiten Turnus in der DDR zu absolvieren. Er wird als Gruppenleiter für mosambikanische Vertragsarbeiter:innen im VEB Glaswerk Stralau eingesetzt.

 

Strukturelle und physische Gewalt

Ibraimo Albertos Einsatz als Gruppenleiter fällt in eine Phase, in der die Vertragsarbeiter:innen immer weniger Ausbildung bekommen. Sie sollen vor allem die marode Industrieproduktion aufrechterhalten. Nach dem Mauerfall 1989 verlieren die meisten der Mosambikaner:innen ihre Arbeit, auch Ibraimo. Die Vertragsarbeiter:innen werden dazu gedrängt, vorzeitig in ihre Herkunftsländer zurückzukehren. Ibraimo bleibt. 1990 zieht er von Berlin nach Schwedt. Dort boxt er für den Uckermärkischen Boxverein Schwedt 1948 in der Bundesliga. Daneben macht er eine Ausbildung zum Sozialarbeiter. Seine Boxkarriere hilft ihm, die extreme rassistische Gewalt der neunziger Jahre zu überstehen. Er engagiert sich in Schwedt als ehrenamtlicher Stadtverordneter und Ausländerbeauftragter. Trotz allem sieht er keine Perspektive für sich und seine Familie in der Stadt. Er verlässt sie 2011 aufgrund andauernder Angriffe auf ihn und seine Familie.

Ibraimo Alberto lebt in Berlin und arbeitet als Sozialarbeiter mit Geflüchteten.

Credits:
Das Interview führte Jessica Massóchua 2021 in Berlin
Text: Isabel Enzenbach
Recherche und Rechercheprotokoll der Fotos: Jessica Massóchua