Phạm Thanh Hà kommt nach ihrem Abitur als Lehrling in die DDR. Von 1974 bis 1978 absolviert sie bei VEB Carl Zeiss Jena die Ausbildung zur Feinoptikerin. Sie kehrt nach Vietnam zurück, studiert dort an der Nationaluniversität Hanoi Physik. 1989 nimmt sie die Einladung einer Westberliner Forschungsfirma an, um dort als wissenschaftliche Mitarbeiterin zu arbeiten. Ihren siebenjährigen Sohn muss sie in Vietnam zurücklassen.

 

Ausbildung als Lehrling

Phạm Thanh Hàs Mutter ist Ärztin. Sie erzählt Hà, dass das vietnamesische Gesundheitsministerium Plätze für Berufsausbildungen in der DDR anbietet. Thanh Hà möchte nach dem Abitur ins Ausland gehen, also bewirbt sie sich und wird schließlich angenommen. Elf Tage reist sie zusammen mit anderen jungen Vietnames:innen im Zug über China und Russland in die DDR. Das erste Ziel ist Gotha, dort gibt es sechs Monate Deutschunterricht. Dann geht es weiter nach Jena, wo Thanh Hà ihre Ausbildung zur Feinoptikerin beginnt. Untergebracht wird sie zusammen mit drei anderen jungen Frauen in einer Ein-Zimmer-Wohnung im Wohnheim für Zeiss-Lehrlinge. Man erklärt ihnen, dass Liebesbeziehungen verboten sind.

Besondere Bedingungen

VEB Carl Zeiss Jena ist ein traditionsreiches Unternehmen. Die Arbeit dort gilt als gut und sie gefällt Thanh Hà. Die Ausbildung, die sie und ihre Kolleg:innen erhalten, gilt als Teil der Solidarität mit Vietnam, die sich die DDR auf die Fahnen schreibt. Hà und die anderen jungen Vietnamesinnen, die bei VEB Carl Zeiss Jena lernen, werden in einem Zeitungsartikel mit Foto vorgestellt. Man sieht, wie die jungen Frauen Gläser und Prismen überprüfen. Das in der Zeitung veröffentlichte Bild bewahrt Thanh Hà bis heute auf.

Ich mochte die Ausbildung.

Phạm Thanh Hà, Berlin 2022

Zurück in Vietnam

1978 beendet Phạm Thanh Hà ihre Ausbildung erfolgreich und kehrt nach Vietnam zurück. Zunächst arbeitet sie als Technikerin in einem physikalischen Institut, von dort wird sie zum Physikstudium an die Nationaluniversität Hanoi delegiert. Nach dem Studium arbeitet sie als Physikerin in einem Forschungsinstitut. Inzwischen hat sie neben ihrer Karriere ein Kind bekommen. Ihr Institut unterhält Kontakte in alle Welt, Thanh Hà nimmt an internationalen Konferenzen teil.

Zurück in Deutschland

Durch die Zusammenarbeit zwischen der Dünnschicht-Technik GmbH in West-Berlin und dem Physikinstitut Hanoi bekommt Phạm Thanh Hà Ende der 1980er-Jahre dort ein Stellenangebot. Das klingt für sie vielversprechend, doch der Preis ist hoch: Thanh Hà kann ihren Sohn nicht mit nach Deutschland nehmen. Dennoch entscheidet sie sich, die Einladung anzunehmen. Sie kommt im November 1989, kurz nach dem Mauerfall, in Berlin an.

Inmitten der Wende

Niemand holt Thanh Hà bei ihrer Ankunft in Berlin-Schönefeld ab. Zwar kann sie Deutsch, doch sie hat kein deutsches Geld. Zum Glück trifft sie auf vietnamesische Vertragsarbeiter:innen, die ihr Ost-Mark leihen. Damit kann sie ihr Taxi bezahlen und nach Westberlin fahren. Sie tritt ihre Stelle als Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Westberliner Dünnschichttechnik GmbH an. Thanh Hà ist häufig auf sich gestellt, muss alleine klarkommen, sich das Wissen über die modernen, komplexen Maschinen der Firma selbst aneignen. Stundenlang muss sie im Stehen die Maschinen überwachen. In ihrer Freizeit liest sie die Fachliteratur, um sich einzuarbeiten. Sie vermisst ihren Sohn, muss oft weinen.

Die Firma, in der Phạm Thanh Hà angestellt ist, geht im Mai 1994 pleite. Thanh Hà arbeitet die nächsten Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Adolf-Slaby-Institut in  Ostberlin. Nachdem staatliche Forschungsgelder gekürzt werden, verliert sie zusammen mit einigen Mitarbeiter:innen ihren Arbeitsplatz.

Am Anfang hatte ich viel Heimweh und war traurig.

Phạm Thanh Hà, Berlin 2022

Arbeit bei Reistrommel e.V.

Auf der Suche nach einem neuen Job stößt Phạm Thanh Hà auf den Verein Reistrommel e.V., der vietnamesische Migrant:innen in Berlin unterstützt. Thanh Hà beginnt dort zu arbeiten: Sie übersetzt, berät, gibt Sprachunterricht, hilft Jugendlichen und organisiert Kulturprogramme.

Von 2002 bis 2012 arbeitet Phạm Thanh Hà in verschiedenen Berufen im sozialen Bereich, zum Beispiel als interne und externe Dolmetscherin oder bei der IOM (Internationale Organisation für Migration) als Beraterin für Flüchtlinge, die eine freiwillige Rückkehr beantragen.

Heute lebt Phạm Thanh Hà in Berlin und arbeitet beim Interkulturellen Hospizdienst Dong Ban Ja – HVD Humanistischer Verband Deutschland als Koordinatorin.

Credits:
Das Interview führte Nguyễn Phương Thanh 2022 in Berlin.
Text: Isabel Enzenbach
Recherche und Rechercheprotokoll der Fotos: Nguyễn Phương Thanh