Danilo Starosta wächst in den Sechziger und Siebziger Jahren in einer Kleinstadt in Sachsen auf. Seine Mutter ist Studentin, sein Vater Vertragsarbeiter. Der Vater kehrt schon vor Danilos Geburt in die Mongolei zurück. Danilo verbringt die meiste Zeit seiner Kindheit bei den Großeltern.

Die Sechziger Jahre in der Provinz

Danilo Starosta wird 1965 in Freital geboren. Die Mutter studiert Ökonomie und arbeitet später in verschiedenen Betrieben in verantwortlichen Positionen. Sein Vater ist Teil einer Gruppe mongolischer Vertragsarbeiter, die 1962 in die DDR gekommen waren, um technische Berufe zu lernen. Er wird im Grafischen Großbetrieb Völkerfreundschaft in Dresden als Übersetzer beschäftigt. Danilo kennt seinen Vater lange Zeit nur von einem Foto.

Bilderbuch einer Kindheit

Danilo Starosta wächst als asiatisch gelesenes Kind ohne den Vater als Bezugsperson in einer weißen und, wie er sagt, „sehr kleinbürgerlichen“ Familie in der sächsischen Provinz auf. Seine Entwicklung als Kind wird in vielen Fotos dokumentiert. Die Mutter arrangiert die Bilder liebevoll in einem Album. Der Großvater Kurt Klämbt geht regelmäßig mit seinem Enkel in ein Fotostudio. Die Bilder werden auch gemacht, um sie Danilos Vater in die Mongolei zu schicken. Kurt Klämbt besitzt einen eigenen Fotoapparat. Viele Familienbilder hat er fotografiert – und ist deshalb meistens nicht selbst zu sehen.

Die Großeltern sind fest verankert in der Gemeinde Freital. Der Großvater leitet ein Ausflugslokal. Die Großmutter ist gelernte Schriftsetzerin, bleibt aber nach der Geburt von sechs Kindern Hausfrau. „Mein Opa war einer dieser Leute, die man in der Stadt kannte“, erzählt Danilo Starosta. Er hat ein sehr enges Verhältnis zu seinen Großeltern, besonders zu seiner Oma. Sie übernehmen seine Betreuung, denn ein Kindergartenplatz wird Danilo verwehrt. Die Erzieherinnen sehen sich nicht in der Lage, ihn in die Gruppe zu integrieren. Man habe Angst, er werde von den anderen Kindern schlecht behandelt, wird der Mutter erklärt. Bis zu seiner Einschulung ist Danilo deshalb kaum mit gleichaltrigen Kindern zusammen.

Es ist so, dass ich als dieses typische Ausländerkind markiert wurde.

Danilo Starosta, Dresden 2022

Danilo Starosta erzählt über rassistische Stigmatisierung in der Schule und von Auszeichnungen beim Kinderfasching.

Kleider machen Leute

Erfolgreich ist Danilo Starosta beim Karneval in den Verkleidungen, die von den Erwachsenen für ihn ausgewählt werden. Mehrmals gewinnt er Preise für das beste Kostüm als „Chinese“ oder „Türke“. Als er etwa zehn Jahre alt ist, näht ihm seine Großmutter sein Wunschkostüm „Musketier“. In diesem Jahr erhält er keinen Preis.

Nur nicht auffallen

In der Hoffnung, Danilo vor Ausgrenzung zu schützen, kleidet ihn seine Familie in folkloristischer Tracht gerne besonders „deutsch“. Sie hoffen, er falle damit weniger auf. Die schwarzen Haare werden unter Hüten oder Mützen versteckt. Allerdings tragen die anderen Kinder solche Kleidung nicht, sie gilt auch damals schon als unmodern. Anstatt in der Gruppe unsichtbar zu werden, fällt Danilo mit seinen Lederhosen und Lodenjacken erst recht aus dem Rahmen.

Als Danilo Starosta in die Schule kommt, kann er schon schreiben und rechnen. In einem Team Völkerball oder Fußball spielen kann er nicht. Was andere Kinder in der Gruppe im Kindergarten gelernt haben, ist für ihn neu. Zum ersten Mal muss er seinen Platz unter Gleichaltrigen finden. Er geht auch jetzt nicht in den Hort, sondern wird auf Empfehlung der Lehrer:innen nach der Schule abgeholt. So soll er vor Hänseleien anderer Kinder geschützt werden. Ein Lichtblick in dieser Situation ist seine Lehrerin Frau Rautenstrauch. „Ihr war es egal, wie ich aussehe“, erzählt Danilo Starosta. Sie leitet die Theater-AG und besetzt mit ihm die Hauptrollen. Er spricht keinen sächsischen Dialekt, und er kann sich schnell viel Text merken. Sie vermittelt ihm eine neue Welt außerhalb der Familie.

Ich bin hinter einer sehr kleinbürgerlichen Fassade groß geworden.

Danilo Starosta, Dresden 2021

Danilo erzählt von seinem Bruder und von seinem sehr engen Verhältnis zu seiner Oma Lisbeth.

Sonntagsausflug

Dieses Bild habe den Großeltern sehr gut gefallen, erzählt Danilo Starosta. Es zeigt die Familie an ihrem Lieblingsausflugsziel:

„Diesen Blick, die Prager Straße mit den Pusteblumen-Brunnenanlagen. Das war die Bestätigung der Generation, dass das mit dem Sozialismus schon nicht ganz falsch war. Mit dem Nationalsozialismus, das war falsch. Aber das mit dem Sozialismus: Luft, Licht, man kann irgendwo hingehen, man muss nicht superreich sein und kann sich trotzdem gut fühlen. Das war für die Generation superwichtig. (…) Man konnte sich immer kleinbürgerlich inszenieren, das ist die typische Fassade. Wir hatten kein Geld, oder wenig, aber es ging. Man konnte trotzdem dort unterwegs sein, Eis essen mit den Enkeln im Café Prag.“, sagt Danilo Starosta.

Bücher sind die Rettung

Danilo verschlingt Bücher. Er entdeckt bei Tschingis Aitmatov Helden, die aussehen wie er selbst. Zum ersten Mal kann er sich identifizieren. Wichtig ist für ihn auch der Kontakt zu sowjetischen Soldaten. „Da gab es sehr viele asiatische Gesichter, und die haben mich auch gegrüßt. Die haben wahrscheinlich gedacht, ich bin das Kind von einem ihrer Leute.“
Als Teenager beginnt Danilo, sich gegen die Stigmatisierungen aufzulehnen. Er wehrt sich mit anderen gegen rassistische Angriffe durch Neonazis. Die Neunziger Jahre erlebt er als extrem gewalttätig.

Danilo Starosta wird Sozialarbeiter und engagiert sich für ein emanzipatorisches Miteinander und gegen jeden Rassismus. Seinen Vater lernt er nicht kennen, aber zu seinen Schwestern in der Mongolei hat er heute engen Kontakt.
Danilo Starosta lebt in Dresden und arbeitet für das Kulturbüro Sachsen.

Credits:
Das Interview führte Julia Oelkers 2022 in Dresden.
Text: Julia Oelkers
Recherche und Rechercheprotokoll der Fotos: Nguyễn Phương Thúy 
Konzept Videoschnitt: Julia Oelkers